Meudalismus
Irrwege

Der Zins, die Geldschöpfung und der angebliche Wachstumszwang

(Januar 2010)
von
Harald Wozniewski

Man trifft gelegentlich auf die These, dass das Zinswesen unserer Geld- bzw. Kreditwirtschaft einen “Wachstumszwang” auslöse. So heißt es z. B. unter http://die-finanzkrise-und-ich.blog.de/2009/12/11/kommt-dogma-zwang-wirtschaftswachstum-7557928/:

    “Wenn nun Geld in Form eines Kredits in Umlauf kommt und wieder verschwindet, wenn der Kredit zurück bezahlt wird und das Geld für die ebenfalls zu bezahlenden Zinsen durch einen neuen Kredit geschöpft werden muss, dann muss logischerweise das Geldvolumen ständig ausgeweitet werden, wenn das System nicht kollabieren soll.”

In jüngster Zeit hat Raimund Brichta in einem nett geschriebenen offenen Brief an die “Liebe Angela Merkel!” (http://www.teleboerse.de/kolumnen/kolumnen_brichta/Liebe-Angela-Merkel-article423929.html) die These behauptet und erklärt:

    “Aber damit nicht genug, liebe Frau Merkel, denn Sie wissen ja, dass man für Kredite auch Zinsen zahlen muss. Das heißt, man muss insgesamt mehr zurückzahlen, als man aufgenommen hat. Manchmal - bei besonders langlaufenden Krediten - sogar mehr als das Doppelte. Wo soll aber das zusätzliche Geld herkommen? Klar, es kann nur aus zusätzlichen Bankkrediten stammen. Es muss also laufend neues Geld in Form von Bankschulden geschaffen werden. Und für die zusätzlichen Schulden müssen wieder Zinsen gezahlt werden, die noch mehr zusätzliche Kredite erfordern. Und so weiter und so fort...

    Das hat zur Folge, dass die Mengen an zusätzlichem Geld und an zusätzlichen Schulden exponentiell wachsen müssen, um das System aufrecht zu erhalten.”

Zu den ältesten Vertretern der These vom Wachstumszwang zählt auch Helmut Creutz (“Wachstum” durch Zins und Zinseszins und Für Geldreformer sind die Zinsen das Grundübel; s. a. http://www.egon-w-kreutzer.de/Geld/Creutz37.html). Helmut Creutz hat mir aber versichert, dass er dabei nicht “das ominöse ‘fehlende Geld für die Zinsen’” oder gar die Geldschöpfung der Bank denke. Sein “Wachstumszwang” ist vielmehr die These, dass nur über mehr Wachstum die Kluft zwischen Arm und Reich geschlossen werden könne (so, wie es übrigens auch Ludwig Erhard meinte); dass dies ein Irrtum ist, habe ich an anderer Stelle erörtert, insb. [Modelle/Arm ./. Reich].

(Ergänzung Februar 2010: Egon W. Kreutzer spricht auch immer wieder vom Wachstumszwang durch den Zins. Sein neuester Aufsatz dazu: http://www.egon-w-kreutzer.de/0PaD2010/6.html).

Wenn ich nicht alle Vertreter dieser These anführe, bitte ich das zu entschuldigen.

1. Der angebliche “Wachstumszwang”

Dem liegt folgende Vorstellung zugrunde:

Ein Kreditinstitut schließt mit einem Kreditnehmer einen Darlehensvertrag, in dem ein Darlehen von 10.000 € für ein Jahr gegen Zahlung von 10% Zinsen pro Jahr vereinbart wird. Nach Abschluss des Darlehnsvertrags zahlt das Kreditinstitut die Darlehenssummer von 10.000 € an den Kreditnehmer aus. Das Geld wird vom Kreditnehmer ausgegeben.

Hierbei bedient man sich der richtigen Erkenntnis, dass das Geld, das der Kreditnehmer auf diese Weise vom Kreditinstitut erhält, durch diesen Akt neu geschaffen (“geschöpft”) wird. Ich verweise nur auf [Fakten/Bankenkrise] “Die amerikanische Bankenkrise und die weltweite Finanzkrise: 3.0.3 Geldschöpfung und ihre Begrenzung”

Nach einem Jahr zahlt der Kreditnehmer die 10.000 € zurück und zusätzlich 1.000 € Zinsen. Die 11.000 € muss der Kreditnehmer bis dahin irgendwie wieder eingenommen haben. Durch diese Tilgung wird das ein Jahr zuvor geschöpfte Geld wieder vernichtet, so

dass die Geldmenge in der Volkswirtschaft per Saldo eigentlich konstant bleiben könnte.

Dies alles stelle man sich nun für eine ganze Volkswirtschaft vor; die Geldmenge in der Volkswirtschaft wächst durch die Kredite um:

0 € + 10.000 € + 10.000 € + 10.000 € + 10.000 € + 10.000 € + 10.000 € = + 60.000 €

Bei alledem ist klar, dass das Geld für die Tilgung (hier je 10.000 €) durch die kreditbedingte Geldschöpfung in der Volkswirtschaft vorhanden ist und - zum Fälligkeitszeitpunkt auch wieder zur Tilgung zurückgezahlt und somit vernichtet werden kann. Das behaupten auch die Vertreter der These vom Wachstumszwang.

60.000 € - 10.000 € - 10.000 € - 10.000 € - 10.000 € - 10.000 € - 10.000 € = 0 €

Die Vertreter der These vom Wachstumszwang behaupten nun aber, dass jetzt noch Geld für die Bezahlung der Zinsen fehle. Wie die Rechnung zeigt, ist das zuvor geschöpfte Geld durch die Tilgung(en) aufgebraucht und es ist kein Geld mehr für die Zinsen übrig.

Dass in der Praxis bislang dennoch Zins und Tilgung an die Kreditinstitute gezahlt werden, liege daran, dass der eine Kreditnehmer das Geld für fällige Zinsen aus dem Geld erhalte, das ein anderer Kreditnehmer gerade durch einen neuen Kredit geschöpft habe:

Zum Vergrößern anklicken!

0 € + 10.000 € + 10.000 € - 11.000 € = 9.000 €

So wurden zunächst durch den ersten Kredit 10.000 € geschöpft. Dann kamen durch zweiten Kredit weitere 10.000 € hinzu, sodass in der Volkswirtschaft 20.000 € existierten. Hiervon gingen 11.000 € an den ersten Kreditnehmer, der damit Zins und Tilgung bezahlte. Danach bleiben noch 9.000 € in der Volkswirtschaft. Der zweite Kreditnehmer könne nun Zins und Tilgung also nur bezahlen, wenn zwischenzeitlich wieder eine Kreditnehmer Kredit - bleiben wir ruhig bei 10.000 € - aufnimmt und die Geldmenge wieder anwächst auf jetzt 19.000 €.

Aus alledem resultiere ein Zwang zu immer weiterer Verschuldung und eben zu besagtem Geldmengenwachstum. Dieser Wachstumszwang beruhe auf der Geldschöpfungsmacht der privaten Kreditinstitute durch eben jede Kreditgewährung in Verbindung mit der Verzinsung der Darlehensschulden. Dies bestätige auch die Realität unserer Volkswirtschaft, in der sowohl die Verschuldung also auch die Geldmenge immer weiter, ja sogar exponentiell wachse.

Dennoch, die These vom Wachstumszwang ist falsch!

2. Der Irrtum

Die Vertreter des Wachstumszwang verkennen, dass Kreditinstitute keine außerhalb der Volkswirtschaft existierenden Gebilde sind, die lediglich durch Kredite Geld in ein Volkswirtschaft hineingeben und bei Tilgung wieder aus der Volkswirtschaft herausnehmen. Sie übersehen, dass Kreditinstitute am Wirtschaftsleben teilnehmen wie jeder andere auch.

Das Geld, das das Kreditinstitut (KI) als Zinsen erhält, gibt das KI grundsätzlich auch wieder aus. Es bezahlt seine Angestellten und seine Lieferanten, es bezahlt Steuern an den Staat. Und schließlich zahlt es Überschüsse an seine Eigentümer, also z. B. an Aktionäre. Auf einem dieser Wege kann prinzipiell das Geld, das als Zinsen eingenommen wird, auch an den Kreditnehmer gelangt sein, bevor er seine Zinsen bezahlt. Ja, die 1000 € können sogar schon vor der Zinszahlung vom KI zu dem Kreditnehmer gelangt sein, denn auch ein KI nimmt Kredite auf, insbesondere bei Bankkunden, die dort Geld deponieren: auf Girokonten, Tagesgeldkonten, Sparkonten u. ä.

Zum Vergrößern anklicken!

Man muss sich einfach klar machen, dass der Zins nichts exotisches, sondern genauso der Preis für eine Leistung ist wie z. B. der Kaufpreis für ein Brötchen oder ein Auto oder wie der monatliche Mietzins für eine Wohnung. Die Leistung (auch im juristischen Sinn!) des Darlehensgebers ist es, dem Darlehensnehmer für eine gewisse Zeit eine bestimmte Menge Geld zu überlassen. In dieser Zeit kann - wie wir alle wissen - der Darlehensnehmer mit diesem Geld wirtschaften (ob zu seinem Vor- oder Nachteil ist nicht die Frage). Der Darlehensgeber verzichtet für diese Zeit auf diese Möglichkeit. Dafür erhält er eine Vergütung: die Zinsen. Nichts anderes ist es mit dem Mietzins für eine Wohnung. Das verkennen auch die Geld- und Zinskritiker, ja sogar die, die die These vom Wachstumszwang vertreten.

Insgesamt spricht also trotz der Tatsache, dass KI durch Kreditvergaben Geld schöpfen und Zinsen verlangen, nichts gegen die Möglichkeit, dass in einer Volkswirtschaft das Maß der Verschuldung und die Menge des Geldes auf Dauer konstant bleibt - OHNE, dass die Konjunktur darunter leidet oder gar zusammenbricht.

3. Die wirklichen Zusammenhänge

Dass es in der Wirklichkeit dennoch zu einem ständigen Anwachsen der Verschuldung und der Geldmenge kommt, ist unbestritten, hat aber einen anderen Grund. Diesen Grund, nämlich die Vermögenskumulation vor allem aufgrund von Unternehmensgewinnen, habe ich z. B. unter [Modelle] und [Fakten/Bankenkrise] “Die amerikanische Bankenkrise
und die weltweite Finanzkrise”
ausführlich beschrieben und bewiesen.

4. Gegenrede

Die Vertreter der These vom Wachstumszwang sind herzlich zur Replik eingeladen. Auf Wunsch veröffentliche ich diese an dieser Stelle hier:


Gegenrede von Axel Sauter aus Marbach am Neckar am 14.02.2010:

    ... ich glaube zwar nicht, dass Egon W. Kreutzer unfehlbar ist, aber die Argumente die er in dem brillianten Beitrag über den Zins http://www.egon-w-kreutzer.de/0PaD2010/6.html entwickelt, scheinen mir unwiderlegbar.

    Auszug:
    “Neben dem Zins, der von Schuldnern bezahlt und von Gläubigern empfangen wird, stehen - in ihrer Schadwirkung gleichbedeutend - alle Einkommen bzw. Einkommensbestandteile, die ausschließlich aufgrund von ‘Eigentumsrechten’ erworben werden; die wichtigsten darunter sind   
    - alle Mieten und Pachten,
    - alle Gebühren für Lizenzen aus Patenten und anderen Schutzrechten,
    - alle Dividendenzahlungen an Anteilseigner,
    - alle Unternehmensgewinne,
    soweit sie   über den vom Eigentümer für Erwerb und Erhalt des Eigentums erbrachten Aufwand, einschließlich des Wertes seiner eigenen, damit verbundenen Arbeitsleistung, hinausgehen.”

    In dem folgenden Abschnitt:
    “Das Geld, das das Kreditinstitut (KI) als Zinsen erhält, gibt das KI grundsätzlich auch wieder aus. Es bezahlt seine Angestellten und seine Lieferanten, es bezahlt Steuern an den Staat. Und schließlich zahlt es Überschüsse an seine Eigentümer, also z. B. an Aktionäre. Auf einem dieser Wege kann prinzipiell das Geld, das als Zinsen eingenommen wird, auch an den Kreditnehmer gelangt sein, bevor er seine Zinsen bezahlt.”

    legen Sie dar, dass die eingenommenen Zinsen prinzipiell wieder zum Kreditnehmer gelangen können, vergessen dabei aber, dass die Gebrüder Albrecht, der Herr Lidl und all die anderen Reichen, die eingenommenen Zinsen gar nicht verkonsumieren können. Diese Meudalherren horten diese Zinsgewinne genauso wie ihre Unternehmer- gewinne und Mieten und entziehen damit der Realwirtschaft Liquidität, was immer höhere Neuverschuldung und damit Wachstum erforderlich macht.
    In Erweiterung Ihrer Behauptung könnte man auch sagen
    - alle Mieten und Pachten,
    - alle Gebühren für Lizenzen aus Patenten und anderen Schutzrechten,
    - alle Dividendenzahlungen an Anteilseigner,
    - alle Unternehmensgewinne,
    können prinzipiell wieder an diejenigen zurückfließen, die sie aufgebracht haben, was natürlich faktisch nicht passiert. Ich sehe diese vier Faktoren also als Werkzeuge des Meudalismus, deren Schädlichkeit Herr Kreutzer sehr schön herausgearbeitet hat.

und meine Antwort vom selben Tag:

    Hinsichtlich Ihres Zitats von Kreutzer stimmen er und ich seit Jahren völlig überein.

    Ihr “Gegenargument”, Aldi & Co können das Geld, das sie einnehmen, schon gar nicht mehr ausgeben, habe ich nicht vergessen. Vielmehr ist es das, was ich seit Jahren selbst vertrete und als Meudaleffekt bezeichne: z. B. http://www.meudalismus.dr-wo.de/html/nil.htm#2, http://www.meudalismus.dr-wo.de/html/bankenkrise.htm und http://www.meudalismus.dr-wo.de/html/konjunktur.htm. Ob dieses Geld aus Zinsen, Mieten oder Unternehmensgewinnen stammt, ist dabei egal. Das ist aber nicht die Behauptung oder Argumentation der Vertreter der These vom Wachstumszwang. Die argumentieren, wie ich es skizziert habe, dass allein die Kombination aus Zins und Geldschöpfung durch Kreditvergabe einen Wachstumszwang auslöse.


Ergänzung vom 23.02.2010:

Raimund Brichta (s. o.), obwohl informiert, antwortet nicht.

Egon W. Kreutzer hat mir zwar geantwortet, möchte sich hier aber nicht äußern. Seine Argumente, so viel darf ich kommentieren, gehen an der Sache hier vorbei. Ich habe ihn gebeten, doch zumindest auf seiner Internetseite auf meine abweichende Meinung einzugehen oder hinzuweisen. Das hat er nun unter http://www.egon-w-kreutzer.de/0PaD2010/8.pdf getan, nicht gerade sachlich und mit vielen bunten und emotionsgeladenen Formulierungen (rund 3300 Wörter dort gegen ca. 1200 hier), aber immerhin. In seiner Erwiderung finden Sie als “Gegenargument” mehrere “Inselbeispiele”, die übrigens genau den Irrtum belegen, von dem ich oben unter 2 geschrieben habe.


Dazu auch ein Interview von Thomas Koudela mit Dr. Harald Wozniewski und Egon W. Kreutzer vom 06.04.2010: “Erscheinungsformen, Zusammenhänge und Lösungen eines kapitalistischen Urproblems”.

29.03.2012 Eine ausführliche Darstellung auch in: Der fehlende Zins und das Sparen,  http://www.petersdurchblick.com/2012/03/der-zins-fehlt-nicht.html

Leser seit 30.01.2010:

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Die Anstalt vom 05.04.2016 fast nur der Kritik am modernen Feudalismus gewidmet: