Inhalt:
1. Einführung
2. Die Krankheit unserer Wirtschaftsverfassung
2.1 Begrenztheit der Ressourcen
2.2 Vermögenskumulationen und Feudalismus heute
2.3 Chancengleichheit?
3. Bedeutung für die Volkswirtschaft
4. Heilung in Sicht?
4.1 Erbschaftsteuer
4.2 Vermögensteuer
4.3 Investitionsanreize
4.4 Mehr Arbeitsplätze?
4.5 Wirtschaftswachstum
4.6 Einkommensteuer
4.7 Die Begrenzung von gewinnbringendem inländischem Vermögen!
4.8 Gefahren der Vermögensbegrenzung?
5. Eine kleine Ergänzung
6. Zusammenfassung in Thesen
Paul Krugman, einer der renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler der Welt, lehrt an der Universität Princeton, war Berater von Expräsident Bill Clinton, (in: Die Zeit, Wirtschaft 46/2002 http://www.zeit.de/2002/46/200246_krugmann.neu.xml) über die USA:
“Nur wenigen Leuten ist bewusst, wie sehr sich in diesem Land die Kluft zwischen den sehr Reichen und dem Rest innerhalb relativ kurzer Zeit verbreitert hat. Wer sich mit diesem Thema beschäftigt, setzt sich unweigerlich dem Verdacht aus, ‘Klassenkampf’ oder eine ‘Politik des Neides’ zu betreiben. Und nur wenige Leute sind tatsächlich willens, über die weitgehenden Auswirkungen dieser sich immer weiter öffnenden Schere zu sprechen - über die ökonomischen, sozialen und politischen Auswirkungen.
Doch was in den USA heute geschieht, kann nur verstehen, wer das Ausmaß, die Ursachen und Konsequenzen der zunehmenden Ungleichheit in den letzten drei Jahrzehnten begreift. Wer begreifen will, wieso es in Amerika trotz allen ökonomischen Erfolgs mehr Armut gibt als in jeder anderen großen Industrienation, der muss sich die Einkommenskonzentration an der Spitze ansehen.”
Reinhard Mohn, früherer Chef des Bertelsmann-Konzerns, heute Vorsitzender des Präsidiums der Bertelsmann Stiftung und einer der reichsten Männer Deutschlands, in einem Interview des STERN (in: “Ein Segen, daß uns das Geld ausgeht”, 1998, S. 16) auf die Frage:
Sie selbst haben die Sozialpflichtigkeit des Eigentums betont und schon sehr frühzeitig Ihre Mitarbeiter am Unternehmen und dessen Ertrag beteiligt. Wären wir heute weiter, wenn mehr Unternehmen das gemacht hätten?
“Volkswirtschaftlich gesehen wäre es sicher viel leichter, auch mal auf Lohnerhöhungen zu verzichten oder sie zu reduzieren, wenn die Mitarbeiter flächendeckend am Produktivkapital beteiligt wären. Dann hätten sie neben dem Lohn und später neben der Rente noch eine andere Einkommensquelle. Wir stünden bei den Arbeits- und Sozialkosten besser da und wären konkurrenzfähiger auf der Welt.”
(Ergänzung 2006:)
Jean Ziegler, bis 1999 Nationalrat im Schweizer Parlament und derzeit UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, schreibt (Jean Ziegler, Das Imperium der Schande, C. Bertelsmann, München 2005, S. 13 f.):
“In der Nacht des 4. August 1789 haben die Abgeordneten der Nationalversammlung das Feudalsystem in Frankreich abgeschafft. Heute müssen wir mit ansehen, wie die Welt von neuem feudalisiert wird. Die despotischen Herrscher sind wieder da. Die neuen kapitalistischen Feudalsysteme besitzen nunmehr eine Macht, die kein Kaiser, kein König, kein Papst vor ihnen je besessen hat.
Die 500 mächtigsten transkontinentalen kapitalistischen Privatgesellschaften der Welt — in der Industrie, im Handel, in den Dienstleistungen, im Bankwesen — kontrollierten im Jahr 2004 52% des Weltsozialprodukts, mit anderen Worten: mehr als die Hälfte aller Güter, die auf unserem Planeten innerhalb eines Jahres erwirtschaftet werden.
Ja, der Hunger, das Elend, die Unterdrückung der Armen sind entsetzlicher als je zuvor.
Die Attentate vom 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania haben eine dramatische Beschleunigung dieses Prozesses der Refeudalisierung bewirkt. Sie waren für die neuen Despoten der Anlass, die Welt in Besitz zu nehmen. Sich der Ressourcen zu bemächtigen, die für die Glückseligkeit der Menschheit notwendig sind. Die Demokratie zu vernichten.
Die letzten Dämme der Zivilisation drohen zu brechen. Das internationale Recht liegt in den letzten Zügen. Die Organisation der Vereinten Nationen und ihr Generalsekretär werden rüde behandelt und diffamiert. Die kosmokratische Barbarei kommt mit Riesenschritten voran. Aus dieser neuen Realität ist dieses Buch hervorgegangen.”
Und wollen Sie wissen, wer das hier gleich zu Beginn seines großen Werkes geschrieben hat? Es sind wenig bekannte Worte eines umso berühmteren Politikers:
Unsere deutsche Wirtschaft ist nicht gerade gesund. Niemand würde das angesichts der vielen Arbeitslosen, der Schwierigkeiten bei den Renten- und Krankenkassen und angesichts der stets wachsenden Staatsverschuldung ernsthaft bestreiten. Neuerdings ist sogar von Rezession die Rede, obwohl noch Anfang 2000 Optimismus und Euphorie den Zeitgeist bestimmten. Doch die “Ärzte” streiten endlos, um welche “Krankheit” es sich handelt und - noch mehr - wie sie zu behandeln ist. Das, was derzeit von der Politik als Lösungen angeboten wird, ist allerdings bestenfalls symptomatische Behandlung (Umverteilung mittels Steuererhebung, Subventionen, Kindergeld usw.), aber keine Heilung. Hat unsere Wirtschaftsverfassung, also das rechtliche Rahmengebäude unserer Wirtschaft, einen Fehler?
Sie ist eine schleichende Krankheit. Sie vollzieht sich sehr langsam - über Jahrzehnte. Daher fällt es schwer, die Ursachen und Wirkungen zu erkennen. Die Krankheit, an der unsere Wirtschaftsverfassung leidet, ist der “moderne Feudalismus”.
Unsere Rechtsordnung lässt es zu, dass ein in Deutschland “als Deutscher” geborener Mensch sein Leben lang dazu verdammt sein kann, für den Fleck Erde, auf dem er lebt, an einen anderen “bezahlen” zu müssen. Miete oder Pacht nennt man das, und man findet nichts Ungewöhnliches dabei. Ein Bild in meinem Kopf aber beunruhigt mich. Es gibt in Deutschland eine ungeheure Zahl Menschen am Ende ihres Arbeitslebens, die viel und hart gearbeitet haben, die es aber trotzdem nicht geschafft haben, sich von einem Mietverhältnis für ihre Wohnung zu befreien, um statt dessen in einem eigenen Haus mietfrei zu leben. Diese Menschen in einem freien und noch unberührten Land (auf einer “einsamen Insel”) würden, wenn sie dort genauso arbeiten würden wie hier, schon nach wenigen Wochen oder Monaten ein eigenes Haus besitzen. Sie hätten ihr Leben lang (per Saldo) sicher auch nicht weniger Komfort als hier und heute. Denken wir auch an die Rentendiskussion ([Irrwege/Rentenfrage] Die Rentenfrage)! Ein Großteil der Altersrenten wird heute von Mieten aufgezehrt. Das gleiche gilt für alle Selbständigen, die für ihre Geschäftsräume Miete oder Pacht zahlen müssen, weil sie kein Grundeigentum besitzen, und für alle, die zwar Grundeigentum erworben haben, aber nur mit geliehenem, verzinslichem Geld.
Unsere Rechtsordnung lässt weiter zu, dass Privatpersonen in unserem Land schrankenlos Vermögen (“Kapital”) erwerben und ansammeln. Auch das erscheint uns nicht weiter problematisch. Wer strebt nicht danach, sich ein “kleines Vermögen” anzusparen?!!
Doch beide Aspekte unserer Rechtsordnung zusammen ergeben auf Dauer eine explosive Mischung. Explosiv wird es nämlich dann, wenn die Vermögen von einzelnen so übermächtig werden, dass sie einerseits die Entwicklungsmöglichkeiten anderer unverhältnismäßig einschränken und dass sie andererseits ihren Besitzern Einkommen bescheren, die die Einkommen aus Arbeit von anderen völlig in den Schatten stellen.
Hierzu muss man wissen, dass ein großes Vermögen normalerweise nicht kleiner, sondern ohne Zutun (ohne Erwerbsarbeit) immer größer wird. Es wird nicht, wie vielfach angenommen wird, von seinem Besitzer allmählich aufgezehrt. Viele Leute haben diesbezüglich falsche Vorstellungen. Sie meinen, dass man nur durch eigene Arbeit und vielleicht durch geschickte Spekulation mit Aktien und dergleichen reich werden kann, dass aber “Ersparnisse” nach und nach kleiner werden, es sei denn, dass man sie nicht anrührt. So meinen sie etwa bei der Vorstellung, im Lotto zu gewinnen, dass sie den Gewinn in der einen oder anderen Weise langsam aufzehren. Ebenso gehe es allen anderen Reichtümern und ihren Besitzern, falls diese nicht ständig durch ihren Fleiß zur Aufbesserung ihres Vermögens beitrügen. Dass solche Vermögen aber selbst erhebliche Einkommen bescheren und dadurch ihre Besitzer immer reicher machen, ist den wenigsten Leuten klar.
Wenn jemand beispielsweise ein Vermögen von 102 Millionen Euro Wert besitzt, dann nutzt er davon vielleicht einen Anteil von 2 Millionen Euro völlig für sich selbst (das Haus oder die Villa, in der er wohnt). Die übrigen 100 Millionen Euro sind möglichst gewinnbringend angelegt in Aktien, Anleihen, Mietshäuser usw. Die Renditen hierfür liegen normalerweise bei 5% bis 10% jährlich, manchmal mehr, manchmal weniger. Das sind also rund 5 Millionen bis 10 Millionen Euro Einkünfte jährlich allein aufgrund des Vermögens. Welche Kapitaleinkünfte in Deutschland tatsächlich vorkommen, lesen sie bitte unter “Personen” (im Anhang dieser Studie) oder “Die Stundenlöhne der 300 reichsten Deutschen” ([Fakten/Stundenlöhne] “Die Vermögen und ‘Stundenlöhne’ der reichsten Deutschen”). Ob derjenige noch einem Beruf als Würstchenverkäufer oder als Industriemanager oder gar keiner Arbeit nachgeht, fällt dabei nicht mehr ins Gewicht.
Problematisch wird die Vermögensansammlung in wenigen privaten Händen durch zweierlei Dinge: (1.) Durch die Begrenztheit der Ressourcen und (2.) durch die ungleichen Chancen beim Erwerb gewinnbringenden Kapitals.
Kapitaleinkünfte setzen Eigentum an bestimmten Ressourcen voraus, die gar nicht oder nur sehr begrenzt vermehrt werden können. Bei diesen Ressourcen handelt es sich vor allem um Grund und Boden und um Industrie- und Gewerbevermögen.
Jedem ist klar, dass der Grund und Boden der Bundesrepublik Deutschland nicht vermehrt werden kann (sieht man einmal von den Methoden eines A. H. einmal ab). Legt man die Bevölkerungszahl von 1996 zugrunde, kommen auf jeden Deutschen rund 4.790 m² Bodenfläche in Deutschland (= 356.970.000.000 m² / 74.520.500 Deutsche) {Anmerkung 2007: http://www.destatis.de/basis/d/umw/ugrtab7.php führt jetzt 357.050.000.000 m² an, http://www.destatis.de/basis/d/bevoe/bevoetab4.php gibt für 2005 75.148.800 Deutsche an. Das ergibt 4751 m² pro Deutschem}.
Durch den wirtschaftlichen Wettbewerb ist freilich auch das Industrie- und Gewerbevermögen begrenzt. Ein Unternehmen wie beispielsweise BASF könnte in Deutschland wohl kaum noch ein zweites Mal neben dem bereits bestehenden existieren. Der Fall der Philipp Holzmann AG Ende 1999 zeigt einmal mehr nur zu deutlich, dass durch den (ohne Frage notwendigen) Wettbewerb nicht x-beliebige Unternehmen nebeneinander und auf Dauer existieren können. Im Jahr 2001 hat es in Deutschland so viele Konkurse gegeben wie nie zuvor. Zwar können in einem Wirtschaftsgebiet umso mehr Unternehmen existieren, je mehr Mitglieder der Gesellschaft selbst daran partizipieren. Je mehr Leute aber über kaum noch nennenswertes Geld verfügen, desto weniger Unternehmen können überleben (das ist auch das Problem in Ostdeutschland heute). Natürlich braucht auch jede Industrie und jeder Betrieb Grund und Boden. Und dieser ist, wie gesagt, begrenzt. Rechnet man Betriebs-, Gebäude- und Freiflächen (nicht aber Landwirtschafts- und Waldflächen, Wasserflächen, Verkehrsflächen, Erholungsflächen und nicht Flächen anderer Nutzung) auf die Deutschen von 1996 um, so kommen auf jeden Deutschen rund 300 m² Betriebs-, Gebäude- und Freifläche (Achtung: Bei einem zehnstöckigen Haus können das 3.000 m² Büro- oder Wohnfläche sein). Wie viele Deutsche nennen nicht mal einen Quadratmeter Grund und Boden ihr Eigen?!!
Die Behauptung hier ist nicht, dass “Vermögen” generell begrenzt sei. Gemälde, Schmuck usw. können noch beliebig vermehrt werden. Die Behauptung ist vielmehr, dass gewinnbringendes Vermögen, insbesondere gewinnbringender Grund und Boden und gewinnbringendes Industrie- und Gewerbekapital begrenzt sind.
Was folgt aus dieser Begrenzung? Wer beispielsweise wie oben angeführt 102 Millionen Euro Kapitalvermögen hat, ist rechnerisch unmittelbar oder mittelbar (durch Aktien usw.) Eigentümer eines hundert- bis tausendfachen dieses Durchschnittswerts von 300 m² Betriebs-, Gebäude- und Freiflächen. Das bedeutet zugleich: Wenn einer 1001 Mal die durchschnittliche Betriebs-, Gebäude- und Freifläche sein Eigen nennt, sind zwangsläufig 1000 andere in diesem Punkte besitzlos. Es ist nur logisch, dass, wenn beispielsweise der Grund und Boden einer mit 100 Einwohnern belebten einsamen Insel allein dreien dieser Einwohner gehört, die anderen 97 Einwohner in Miete leben müssen. Sie müssen in der Regel auch in abhängiger Arbeit ihr Brot verdienen, weil der einzige Betrieb der Insel (nach der Rechtsordnung) Bestandteil von Grund und Boden ist und damit den drei Wohlhabenden gehört. Die 97 anderen haben keine Möglichkeit zur “Selbständigkeit”, es sei denn, sie zahlen Miete oder Pacht für den Boden, auf dem sie ihr “eigenes” Unternehmen betreiben würden.
2.2.1. Bei der Betrachtung hier von Vermögenskumulationen geht es nicht um Vermögen von juristischen Personen, also z. B. von Aktiengesellschaften oder von GmbH. Von Bedeutung sind hier nur die Vermögen von natürlichen Personen. Es geht hier nicht darum, Kapitalgesellschaften klein zu machen und ihnen ihre Möglichkeiten (Macht) zu nehmen, was auch vielfach propagiert wird. Feudalismus - früher wie heute - ist eine Sache von (natürlichen) Personen.
Ich bin zwar nicht der Meinung, dass es in Ordnung ist, wenn Staat, Kirchen, Gewerkschaften oder andere öffentlich-rechtliche Organisationen “zu viel” Vermögen besitzen. Im Kommunismus, so kann man vereinfacht sagen, besitzt der Staat so ziemlich alles - mit welch traurigem Erfolg. Hier und heute in Deutschland ist das bei weitem nicht so ausgeprägt (ob das auch für die katholische Kirche gilt?). Es macht zudem einen erheblichen Unterschied, ob Vermögen sich - wie dort - “in vielen Händen” oder in der Hand einer einzigen Privatperson befindet. Kapitalgesellschaften sind eine gute Sache, weil sie Kapital bündeln und so häufig erst bestimmte Unternehmen ermöglichen.
2.2.2. Die Zahl der Superreichen und die Größe ihrer Vermögen sind bedrohlich ernste Fakten. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamts - leider nicht direkt, aber indirekt.
Verlässliche Erhebungen existieren nicht. Sehr hübsch ist in diesem Zusammenhang die “Wirtschaftswoche” mit den regelmäßigen Beiträgen unter dem Titel “Wem gehört Deutschland?” (z. B. Heft 43/1999) oder im Anhang dieses Beitrags “Personen”. (Anmerkung 2004: Inzwischen veröffentlicht auch das manager-magazin jährlich eine Liste mit den 100, 250 oder 300 reichsten Deutschen und dem Wert ihrer Vermögen [Fakten/Stundenlöhne] “Die Vermögen und ‘Stundenlöhne’ der reichsten Deutschen”).
(Anmerkung 2012: Neue Studie des Karlsruher Instituts für Wirtschaftsforschung: Darstellungen der Vermögensverteilung in Deutschland)
Ableitungen aus der Vermögensteuerstatistik sind unbrauchbar. Statistisches Bundesamt, Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 7.4 Vermögensteuer, Hauptveranlagung 1993, S. 23:
|
Diese Zahlen sind vor allem nach Einheitswerten berechnet. In der Statistik macht sich auch der 1992 erhöhte Freibetrag von 500.000 DM für betriebliche Vermögen bemerkbar (a.a.O. S. 9).
Nach dem Statistischen Jahrbuch 1998 (herausgegeben vom Statistischen Bundesamt), Seite 676, betrug 1996 das reproduzierbare Bruttosachvermögen 16.798,69 Mrd. DM. 1993 betrug es 15.222,04 Mrd. DM. Dabei handelt es sich um “das gesamte in der Produktion eingesetzte Sachvermögen und das Wohnungsvermögen mit Ausnahme von Grund und Boden. Auch das Gebrauchsvermögen der privaten Haushalte und die militärisch genutzten dauerhaften Güter sind in den Angaben nicht enthalten” (Erläuterung a.a.O. S. 650). Nach dieser Statistik betrug das Vermögen in Deutschland 1993 also schon das über 18-fache des Gesamtvermögens nach der Vermögensteuerstatistik. Dabei sind hier Grund und Boden oder privates Gebrauchsvermögen gar nicht mal enthalten. Jedenfalls zeigt sich wieder einmal, dass man Statistiken genau “lesen” und hinterfragen muss.
In der oben zitierten (wie gezeigt recht fragwürdigen) Vermögensteuerstatistik ist a.a.O. interessanterweise auch der Vermögenszuwachs von 1989 bis 1993 angeführt. Er lag also bei den Reichsten der Reichen bei 22,9% in fünf Jahren oder bei (39.676.000.000 / 87 x 22,9 / 122,9 / 5 =) 17 Mio. DM jährlich oder 46 TDM täglich. Wie gesagt: nur nach Einheitswerten gerechnet.
Die Fragen bleiben:
Wem und in welcher Anhäufung gehört das “reproduzierbare Bruttosachvermögen” im Wert von 16.798.690.000.000 DM (Stand 1996), m. a. W. das Vermögen auf Grund und Boden in Deutschland? Wem und in welcher Anhäufung gehört der Grund und Boden in Deutschland?
Im Grunde geht es bei unserem Thema darum, wie sich das Einkommen und - in diesem Zusammenhang - wie sich das gewinnbringende Vermögen (Kapital) in Deutschland verteilt. Dafür gibt es leider keine bessere Quelle als die Einkommensteuerstatistik. Sie zeigt immerhin direkt auf, wie viele Steuerpflichtige u. a. mehr als 500 TDM, 1 Mio. DM und mehr als 10 Mio. DM verdien(t)en und womit. Wenn wir von diesen steuerrechtlichen Einkünften zurück schließen wollen auf das Vermögen, müssen wir differenzieren zwischen “Einkommen aus eigener Arbeit” und “Einkommen aus Kapital”. “Einkommen aus Kapital” ist letztlich immer “Einkommen aus Arbeit anderer”.
Bei den Einkünften aus nichtselbständiger und aus selbständiger Arbeit ist das relativ klar (wobei auch die Einkünfte eines Seniorpartners einer 50-köpfigen Rechtsanwaltskanzlei nicht mehr nur Einkommen aus Arbeit sein dürften).
Klarheit besteht auch bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und bei Einkünften aus Kapitalvermögen.
Schwieriger ist es bei Land- und Forstwirtschaft und bei Gewerbebetrieb. Hier kann man wohl behaupten: Handelt es sich um geringe Einkünfte (=kleine Betriebe), dann ist der Arbeitsanteil des Inhabers sehr hoch, womöglich 100%. Handelt es sich dagegen um hohe Einkünfte (=große Betriebe mit vielen Arbeitnehmern) dann ist der Arbeitsanteil des Inhabers relativ klein, vielleicht sogar 0%; der andere Teil ist dann Einkommen aus Kapital. Ziehen wir - wie unter “Chancengleichheit?” - den Vergleich zur Besoldung unserer höchsten Richter, so können wir vereinfachend unterstellen, dass der “Arbeitsanteil” höchstens 200.000 DM ausmacht. Wenn also die 694 Reichsten unseres Landes mit ihren 12.342.438.000 DM Einkünften aus Gewerbebetrieb (siehe Statistik des Statistischen Bundesamts) tatsächlich voll im Unternehmen mitarbeiten, dann können wir pauschal 694 x 200.000 DM = 138.800.000 DM als Arbeitsanteil abziehen. Der Rest ist etwa das Einkommen aus Kapital. (Als Vergleichsmaßstab führe ich die Besoldung unserer Verfassungsrichter an, wo wohl außer Frage steht, dass die gute und harte Arbeit leisten und dafür auch gut entlohnt werden sollen: rund 200.000 DM jährlich. Dort fließen auch keine Kapitaleinkünfte mit ins Einkommen ein, wie etwa bei einem Prinzipal einer OHG oder KG. )
Die “sonstigen Einkünfte” können wir vernachlässigen.
Im Jahr 1992 hatten nach der Einkommensteuerstatistik von den insgesamt rund 30 Millionen Steuerpflichtigen (siehe rechts “Anmerkungen”) 25.265 Steuerpflichtige ein Einkommen von über 1 Million DM (über 750 davon hatten eines von über 10 Millionen DM). Zusammen betrugen deren Einkünfte allein im Jahr 1992 rund 70 Milliarden DM, im Schnitt also über 2,7 Millionen DM pro Steuerpflichtigen. (siehe rechts Statistik oben lfd. Nrn. 15 - 18)
Diese Gruppe von 25.265 Steuerpflichtigen erzielte 1992 zusammen ebenso viele positive Einkünfte (im steuerrechtlichen Sinn) aus
Bei alledem sind noch nicht die steuerfreien Vermögenszuwächse berücksichtigt. Grundstücke steigen im Wert, weil sie knapp sind und weil natürlich auch steuerbegünstigte Investitionen (Bebauung) sich niederschlagen. Aktien steigen regelmäßig erheblich im Wert (in manchen Jahren 10% - 30% jährlich), zumal Großaktionäre die Unternehmensgewinne lieber im Unternehmen belassen (= steuerfreie Wertsteigerung der Aktien) als sie sich als (zu versteuernde) Dividende auszahlen zu lassen (BASF 1998: Von 5,34 DM Gewinn je Aktie wurden lediglich 2,20 DM an den Aktionär ausgeschüttet).
Die 751 Steuerpflichtigen mit 10 Millionen DM oder mehr Einkünften im Jahr 1992 hatten im Durchschnitt 19.968.850 DM Einkünfte und mussten im Durchschnitt 8.587.888 DM Einkommensteuer zahlen (Statistisches Bundesamt, Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 7.1, 1992, S. 18 f.). Und das waren Einkünfte (fast) nur durch Kapital. Diesen 751 Personen verblieben nach Steuern im Schnitt über 31.000 DM täglich! Da es hierbei um Einkommen aus Kapital handelt, handelt es sich letztlich um Einkommen aus Arbeit anderer.
2.2.3. Damit ist der Feudalismus in Deutschland bereits wiedergekehrt. Feudalismus ist, kurz gesagt, wenn einer der Herr über sehr viele Knechte ist und von der Arbeit der Knechte in großem Luxus lebt. Nichts gegen das Dienen an sich. Es ist völlig richtig, wenn jeder einem anderen dienlich ist. Eine Wirtschaft lebt davon. Entscheidend ist aber das Verhältnis von “Herr” und “Diener”. Hat einer hundert Diener, die jahrein jahraus für ihn arbeiten, dann ist das schon ganz schön feudalistisch.
Der klassische Feudalismus zeichnete sich dadurch aus, dass die “Rechtsordnung” dem Feudalherren die Macht über ein großes Gebiet einräumte, welches Lebensraum vieler Menschen war, und diese Menschen lebenslang der rechtlichen und faktischen (ritterlichen) Macht des Lehnsherrn unterworfen waren. Waren auf der einen Seite die Lehnsmänner recht- und besitzlos und tagein tagaus mit (Sklaven-) Arbeit beschäftigt - um überleben zu können, natürlich! -, bezogen die Lehnsherren die Früchte der Arbeit der Lehnsmänner. Die Einzelheiten waren in allen Zeiten und Ländern verschieden. Das System war insofern leicht zu überschauen, weil das Gebiet des Lehnsherren zugleich den Kreis seiner Lehnsmänner abgrenzte (im wesentlichen jedenfalls). Eine “historische” Beschreibung des klassischen Feudalismus erhalten Sie von Friedrich Engels, Über den Verfall des Feudalismus und das Aufkommen der Bourgeoisie, geschrieben Ende 1884 (http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_392.htm).
Der moderne Feudalismus unterscheidet sich davon dadurch, dass es keine geographische Abgrenzung mehr gibt. Der/die moderne Feudalherr/in besitzt nicht ein zusammenhängendes Land von beachtlicher Größe, sondern einige hundert Mietshäuser oder eine oder mehrere Fabriken mit Tausenden Arbeitnehmern. Das kann über ganz Deutschland verstreut sein. Er kann auch lediglich indirekt (durch Aktien und durch Anleihen) “Herrscher” über andere sein. Entscheidend ist, wie hoch sein Reichtum im Vergleich zum “Gesamtreichtum” des Gemeinwesens und der Zahl der Köpfe des Gemeinwesens ist. Wenn ein Gemeinwesen mit Hilfe von Sozialleistungen für Einzelne das Schlimmste verhindern muss, ist m. E. die Grenze schon überschritten.
Exkurs Marxismus: Marx hatte manches richtig erkannt. Er hat m. E. aber unzweckmäßige (um nicht zu sagen: falsche) Schlüsse gezogen. Die einzige Parallele zwischen den Thesen von Marx und meinen Thesen ist die Feststellung der wirtschaftlichen Realität, nämlich, dass man durch Kapitalbesitz Geld verdienen kann und dass die Reichen schneller reicher werden als die Armen (falls sie überhaupt reicher werden). Aber dazu braucht man nicht “Marx gelesen” zu haben. Dazu braucht man nur etwas logisches und wirtschaftliches Denken und die Fähigkeit und den Willen, Einkommensstatistiken von heute lesen zu können.
2.2.4. Wenn Sie mir bis hier hin folgen wollen, dann wird Ihnen diese Analyse gefallen:
Untersuchen wir den Fall des Herrn “Reich” mit 10 Mio. DM Einkünften aus Kapitalvermögen (im steuerrechtlichen Sinn) und unterstellen, er hätte diese 10. Mio. DM als Dividende von BASF für das Jahr 1998 erhalten. Dass es einige solch hoher Einkünfte aus Kapitalvermögen in Deutschland gibt, wissen wir vom Statistischen Bundesamt. Nach dem Geschäftsbericht von BASF für 1998 wurden je Aktie 2,2 DM Dividende ausgeschüttet. Herr Reich hatte folglich etwa 4.545.454 BASF-Aktien. Dies entspricht einem Anteil von rund 7,3 Promille des gesamten BASF-Aktienkapitals. Zudem gab es zum 31.12.1999 bei BASF 105.945 Mitarbeiter. Auf Herrn Reich entfallen folglich rund 779 Mitarbeiter. Das ist in meinen Augen schon Feudalismus pur. Prüfen und rechnen Sie nach, wenn Sie es nicht glauben! Geht man vom Aktienkurs Ende 1998 von etwa 33 Euro aus, so hatte Herr Reich 150 Mio. Euro Aktienkapital. Wenn man also vorsichtig einen Schnitt bei 50 Mio. DM vorschlägt, dann bleibt Herr Reich immer noch Herr über 130 Knechte. Das war nur eine statische Betrachtung. Hinzu kommt eine dynamische Betrachtung: Die 10 Mio. DM werden wieder möglichst gewinnbringend angelegt. Rechnen Sie selbst nach, wie viele Knechte Herr Reich nach 15 Jahren hat, wenn er - bei sonst gleichen Bedingungen, wie die Volkswirte gerne immer betonen - wieder in BASF-Aktien anlegt! Ziehen Sie aber vorher immer 43% Einkommensteuern (so viel ist das laut Statistischem Bundesamt bei den Reichen im Schnitt) und ein paar Mark für die private Lebensführung ab!
Die Kapitaleinkünfte eines einzigen (!) derart superreichen Steuerpflichtigen entsprechen leicht dem ausgeschütteten Gewinn eines Unternehmens, den dort mehrere Hundert oder Tausend “Beschäftigte” ([Fakten/Untertanen] “’Mitarbeiter’ oder die Untertanen im modernen Feudalismus”) erwirtschaftet haben.
(Siehe auch Michael Jungblut http://www.dr-wo.de/themen/jungblut/40.htm )
2.3.1. Das Verhältnis der Einkünfte eines Wohlhabenden aus Kapital und des Einkommens eines Durchschnittsbürgers ist schon so krass, dass es letzterem schlicht unmöglich ist, hinsichtlich des Kapitalzuwachses mit den Reichen mitzuhalten. Zum Vergleich: Die Besoldung unserer höchsten deutschen Richter liegt bei rund 200.000 DM jährlich. Dafür müssen die aber arbeiten. Die Einkünfte der Wohlhabenden (nicht aus Arbeit, sondern aus Kapital) liegen, wie dargelegt, bei über 1 Million DM oder auch bei über 10 Millionen DM jährlich. (Ergänzung 2003: Nach “Die Stundenlöhne der 300 reichsten Deutschen” liegen die Einkommen sogar noch weit höher.) Zieht man bei beiden 100.000 DM für die private Lebensführung ab, so könnte der höchstbesoldete Richter alle zehn Jahre ein neues Mietshaus im Wert von 1 Million DM erwerben. In derselben Zeit kauft der Wohlhabende allein mit seinen “Zinsen” zehn bis hundert solcher Häuser.
Da, wie gezeigt, Grund und Boden und (mit gewissem Spielraum) Unternehmenskapitalien begrenzt sind, kann nicht jeder, der will, Mietshäuser oder Unternehmensanteile kaufen. Hinzu kommt, dass Preise sich bekanntlich der Nachfrage anpassen. Da kann der Superreiche allein aufgrund seines Einkommens leicht ein Vielfaches von dem bezahlen, was jeder andere bezahlen kann. Auch wenn jemand, der nicht Nachkomme reicher Vorfahren ist und der kein Vermögen besitzt, noch so hart arbeitet: Er hat gegen die Kapitalansammlung eines Reichen und gegen dessen Kapitaleinkünfte keine Chance (den wenigen Spitzenverdienern aus Sport und Wirtschaft, die allein für ihre Arbeit oder Tätigkeit bezahlt werden, sei es aufrichtig gegönnt).
2.3.2. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in einem feudalistischen Gemeinwesen waren und sind immer so, dass die “Masse” für ihre Arbeit gerade mal so viel Lohn erhält, wie sie für das Nötigste braucht. Insbesondere Mieten (die ja die Besitzenden kassieren) schneiden immer größere Löcher in die mickrigen Haushaltskassen vieler. Gelegentliche Ersparnisse dort von wenigen Hundert oder Tausend Euro im Jahr sind einfach lächerlich gegenüber dem, was die Superreichen jährlich an Kapitaleinkünften haben.
Dieses Diagramm zeigt vereinfacht den Vermögenszuwachs über 15 Jahre in vier Fällen. In den ersten beiden Fällen beträgt das Anfangsvermögen Null, in Fall 3 beträgt es 10 Millionen DM, in Fall 4 beträgt es 50 Millionen DM. Das Kapital erzielt 4% Rendite jährlich. Die Einkünfte aus Arbeit betragen 48.000 DM im ersten Fall und jeweils 120.000 DM in den anderen Fällen. Die Einkommensteuer beträgt 15% (Fall 1), 30% (Fall 2) und 45% (Fälle 3 und 4). In den Fällen 1 und 2 sieht man von einem Vermögenszuwachs nichts. Dagegen macht Fall 4 erschreckend deutlich, wie schnell die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht.
2.3.3. Das berühmte Spiel Monopoly hat viele Parallelen mit unserer Wirklichkeit und mit dem modernen Feudalismus: Die Einkünfte, die die Spieler bei Monopoly erzielen, sind Einkünfte nicht aus Arbeit, sondern aus Kapital. Es findet ein spannender und “freier” Wettbewerb statt; jeder versucht so viel gewinnbringendes Kapital zu erwerben wie möglich - und natürlich am liebsten die besten Stücke zuerst. Das Spiel macht allen Spielern Spaß, solange das Verhältnis zwischen arm und reich unter den Spielern noch einigermaßen ausgeglichen ist. Das Spiel endet, wenn einer alle anderen “geschluckt” hat. Der Spielverlauf ist kapitalistisch; das Spielende ist “modern feudalistisch”. Freilich, es ist Zweck des Spiels (wie bei anderen auch), die Mitspieler “nieder zu machen”.
Das im Spiel traurige, in der Wirklichkeit schreckliche ist nicht der Kapitalismus (also die rechtliche Möglichkeit, Kapital zu sammeln und anderen gegen Geld zu überlassen; das ist m. E. der Denkfehler von Kommunismus und Sozialismus). Nein, das “ungesunde” ist erst die zu große Kapitalansammlung bei dem einen im Verhältnis zu der der anderen.
2.3.4. Die Entwicklung von Einkommen (insbesondere von Einkommen aus Vermögen) und damit die Entwicklung von Vermögen überhaupt, wie sie sich nach offiziellen Zahlen von 1961 bis 1995 in Deutschland (früher nur Westdeutschland) abgespielt hat, zeigt dieses Diagramm:
Zu beachten ist, dass hier bereits steuerliche Abschreibungen enthalten sind. Einkommen, das z. B. nach 1990 gleich in abschreibungsgünstige Objekte in den neuen Bundesländern gesteckt wurde, taucht hier gar nicht in der vollen Höhe, sondern nur um die Abschreibung vermindert auf. Über die Höhe der Abschreibungen oder über die tatsächlichen Einkommen und Vermögen gibt es keine offiziellen Zahlen. Im Anhang Personen sehen Sie, dass Dividenden aus Aktien bei manchen Superreichen mehrere Hundertmillionen Euro jährlich ausmachen. (Bei solchen Summen ist es überhaupt kein Wunder, dass manche Vorstände von Aktiengesellschaften Jahresgehälter von ein paar Millionen Euro bekommen. Über die spricht man in der Öffentlichkeit - über die ganz Großen spricht man nicht!)
Man kann die Wirtschaft gut und durchaus treffend mit dem Blutkreislauf des Menschen vergleichen. Das Geld ist das Blut, das die Zellen bzw. die Menschen versorgt, die irgendwo in dem Organismus an einem der unzähligen Blutgefäße angesiedelt sind. Je größer das Blutgefäß ist, an dem ein Mensch sein Lager aufgeschlagen hat, desto mehr Geld fließt ihm ständig zu. Die Reichen umlagern also die Aorta und die Armen irgend welche weit entfernten kleinen Äderchen, in denen womöglich schon kein Blut mehr fließt. In einem gesunden Organismus werden alle Zellen (Menschen) gut versorgt. Ist der Blutkreislauf krank und konzentriert der Blutkreislauf (Geldkreislauf) sich immer mehr auf die großen und immer größer werdenden Blutgefäße, dann kommt in weiten Teilen des Organismus der Blutfluss zum Erliegen. Ebenso ist es mit der Wirtschaft.
Ostdeutschland hat uns das bis in die Gegenwart sehr deutlich gemacht. Wenn Sie einen Blick in die “ehemalige” DDR werfen, werden Sie sicher mit mir feststellen, dass die Wirtschaft dort nicht richtig läuft und wohl noch lange nicht laufen wird. Vor Anfang der 90er Jahre waren der Grundstücksverkehr und die Baubranche wohl die einzigen Bereiche, die dort florierten. Nach der “Wiedervereinigung” hat man sehr viel davon gehört, wie “Wessis” in Ostdeutschland Häuser und Industrie (also auch Grund und Boden) “eingekauft” hätten. Von der Wirtschaft sind große Teile der ostdeutschen Bevölkerung ausgeschlossen. Sie sind allenfalls als Arbeitnehmer tätig.
Jedes (kleine, mittlere oder große) Unternehmen, das kein Geld einnimmt, kann (auf Dauer) auch keines ausgeben. Der Konkurs eines Unternehmens zieht häufig den Konkurs von anderen nach sich. Es liegt letztlich im Interesse von jedem Unternehmer, dass überall in seinem Umfeld genug Geld verdient wird, damit es dann auch bei ihm wieder ausgeben wird. Hier geht es nicht um das ähnliche Argument von Gewerkschaften für Lohnerhöhungen. Hier geht es darum zu zeigen, dass immer weitere Wirtschaftsbereiche absterben, weil Vermögen sich immer mehr in den Händen Weniger konzentriert (vgl. [Irrwege/Sozialpartner] “Die Gewerkschaften haben Recht - Und die Arbeitgeber haben auch Recht”). Das ist eine schleichende Entwicklung.
Bezogen auf die Arbeitslosenzahlen ergibt sich eine merkwürdige Parallele zu dem oben gezeigten Zuwachs der (offiziellen) Einkommen der Superreichen. Hier sehen Sie den Verlauf der Arbeitslosenzahlen von 1950 bis 1997 (orangene Linie, Statistische Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1998, S. 119):
Legt man dieses Diagramm über das Diagramm der Einkommensentwicklung, ergibt sich folgendes Bild:
Es soll hier nicht spekuliert werden. Aber nach meiner Überzeugung ist diese Parallele kein Zufall.
Die Wirtschaft floriert nur dann, wenn alle hinreichend am Geldfluss partizipieren. Es ist ein Irrglaube, dass die wenigen Wohlhabenden das Geld, das sie einnehmen, wieder so in die Wirtschaft streuen, dass alle in diesem Sinne partizipieren (dazu gleich mehr). Im September 1999 gab es eine Fernsehsendung über eine Vernissage und Auktion von Sotheby's in Deutschland. Ein junger Herzog von Württemberg ist dort der neue Chef. U. a. ein Gemälde für 17 Mio. DM stand zum Verkauf. Viele wohl begüterte Herrschaften waren geladen. Eine ältere, sicher gut betuchte Dame meinte völlig ernst, wenn ihre Aktien die nächsten Tage noch etwas stiegen, würde sie das Gemälde kaufen. Das zeigt zweierlei: 1. Die wirklich Reichen verdienen nicht, weil sie arbeiten, sondern weil sie besitzen: Das Gerede um “Arbeitsplätze” und darum, dass man “nur durch Arbeit zu etwas kommt”, dient vor allem den Reichen. 2. Das Geld des einen Reichen wandert in die Taschen des andern Reichen. Oder welcher Normalbürger hätte schon ein Gemälde für 17 Mio. DM zu verkaufen?!
Eine Wirtschaft ist nur so lange gesund, wie der Unterschied zwischen großen und kleinen Blutgefäßen nur so groß ist, dass noch genügend Blut in den kleinen Gefäßen fließt. Auch unsere Mittelschicht leidet letztlich unter der Armut bzw. Besitzlosigkeit der Unterschicht, soweit sie nicht Mieten kassiert oder von den (billigen) Arbeitskräften profitiert. Denn sie kommt direkt oder indirekt mit für Sozial- und Arbeitslosenhilfe auf. Auch ist ihre Steuerlast höher, weil von den vielen “Armen” keine oder kaum Steuern abverlangt werden.
Fließt Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld bzw. -hilfe, dann ist diese Grenze des erträglichen Unterschieds zwischen großen und kleinen “Blutgefäßen” bereits überschritten.
Es ist wie der Nil in der Wüste: Der Fluss ist breit und stark, aber er versorgt nur wenig Land mit Wasser. Daher ist das meiste Land eine Wüste. Würde das Wasser des Nil sich besser über das Land verteilen, wäre das Land insgesamt fruchtbar. Würde sich hier in Deutschland der Geldfluss unter der Bevölkerung besser verteilen, wäre die Wirtschaft gesund. (Lesen Sie hierzu [Modelle/Der Nil] “Wenn das Geld fließt, wie der Nil in der Wüste”)
(Anmerkung 2007: Zur Bedeutung des Meudalismus für die Volkswirtschaft auch alle Schriften über Modelle und Fakten)
In den USA ist 1999 die Abschaffung der Erbschaftsteuer diskutiert worden. Nach dem Gesagten kann man sich leicht vorstellen, wo das hinführen würde. Die Erbschaftsteuer ist eine (wenn auch kleine) Korrektur des immensen Vermögenszuwachses am Schluss eines Menschenlebens. Sie verhindert in der Regel nicht, dass die Erben besser starten als der Erblasser gestartet war (was man aber einmal überdenken sollte).
Wie hoch müsste eine Erbschaftsteuer sein, wenn sie diesem Feudalismus begegnen sollte? Was bewirkt eine Erbschaftsteuer von 50% bei einem Anfangsvermögen von 100 Mio. Euro innerhalb von vier Generationen, wenn 10% Rendite jährlich erzielt werden? Wenn man 30 Jahre pro Generation rechnet, kommt man bei 50% Erbschaftsteuer nach der 4. Besteuerung (nach 120 Jahren) auf ein Endvermögen von 579.431.680.111 Euro. Will man dagegen nach jedem Erbfall wieder auf 100.000.000 Euro kommen, muss man mit über 94% Erbschaftsteuer rechnen! Geht man von einer jährlichen Rendite von 15% aus, müssten es sogar 98,5% Erbschaftsteuer sein (Excel-Tabelle: http://www.meudalismus.dr-wo.de/est.xls).
Hier wurde die Vermögensteuer gerichtlich (vorläufig) gestoppt (dazu unten mehr). Die Vermögensteuer ist eine Möglichkeit zur Korrektur während eines Menschenlebens. Sie sollte nicht das kleine Vermögen treffen. Sie sollte besser so gestaltet sein, dass der Vermögenszuwachs ab einer Grenze, über die man diskutieren müsste, spürbar beschränkt wird. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, um dem Problem hier abzuhelfen.
Auch die Diskussion um “Investitionsanreize” löst das Problem nicht. Im Gegenteil. Jeder, der Vermögen hat, wird es (soweit er es nicht privat nutzt oder verbraucht) so anzulegen versuchen, dass es möglichst hohen Ertrag bringt. Niemand, der schon ein Vermögen von vielleicht 50 Millionen Euro besitzt, ist nach unserer Wirtschaftsverfassung heute gezwungen, auf weiteren Vermögenszuwachs zu verzichten. Auch der darf nach wie vor 10%, 20% oder mehr Rendite erzielen. Die Entwicklung unserer Arbeitswelt geht immer mehr weg von menschlicher Arbeit und hin zu maschineller Arbeit. Roboter und Computer ersetzen Menschen, - weil die Maschinen billiger sind und damit höhere Rendite versprechen. Deshalb wird nicht in solche Betriebe und Arbeitsplätze wie vor dreißig Jahren investiert, sondern in solche mit neuester Technik, d. h. mit Computern und Robotern. Wer zu Investitionen “anreizt”, fördert diese Entwicklung; er schafft aber insgesamt gesehen nicht mehr Arbeitsplätze.
Die Technisierung der Wirtschaft und der Verlust von “Arbeitsplätzen” ist ja an sich gar nicht schlecht: Es ist schon ein alter der Traum der Menschen, Maschinen für sich arbeiten zu lassen, um selbst irgend welchen Vergnügen oder Interessen nachgehen zu können. Warum denn nicht?!! Niemand kommt hierzulande noch auf die Idee, anstelle eines Autos eine Sänfte zu benutzen, obwohl er dadurch immerhin zwei, vier oder gar mehr Arbeitsplätze schaffen könnte. Es geht auch in Wirklichkeit nicht um Arbeitsplätze, sondern es geht um Einkommen. Wenn also in einem Gemeinwesen die Güterproduktion durch Maschinen und nicht mehr durch Menschen erfolgt, dann muss gewährleistet sein, dass nicht jeder Arbeitslose in Armut landet und nur noch von Sozialhilfe lebt. Die Chance zur Beteiligung an Kapital (insbesondere Industriekapital) und damit an Kapitaleinkünften muss allen eröffnet werden, und zwar in einer Weise, wo die Besitzenden hinten anstehen müssen. Dazu gleich mehr.
Vielfach wird argumentiert, die Misere wäre behoben, wenn es genügend Wirtschaftswachstum gäbe. Dieser Gedanke trifft jedoch nicht zu. Was genau meinen wir mit: “Die Wirtschaft wächst”? Wenn wir nur einmal schauen, wie seit beispielsweise 1960 die Aktienkurse (oder DAX und dergleichen) gestiegen sind, können wir in der Tat sagen, dass die Wirtschaft gewachsen ist. Zeitweise gab es freilich auch Über- und Unterbewertungen. Wodurch sind die Unternehmen gewachsen? Sicher in erster Linie durch die Arbeit der Menschen, die für jene Unternehmen tätig waren. Wer hat von den Kursentwicklungen profitiert? Die Aktionäre natürlich - nicht durch eigene Arbeit, sondern durch Besitz. Gegen diesen Mechanismus ist im Grunde auch nichts einzuwenden.
Wenn man, wie es manche tun, den Zuwachs des “Volksvermögens” insgesamt auf die Bevölkerung (statistisch) umlegt, um behaupten zu können, dass es in Deutschland doch immer weiter aufwärts geht, wird man das Problem hier nicht erschließen können.
Volkswirtschaftler bemessen Wirtschaftswachstum am Bruttosozialprodukt. Sie meinen, dass durch die zunehmende Automatisierung der Arbeitswelt Arbeitskräfte freigesetzt werden und dass die Verhinderung von Arbeitslosigkeit wirtschaftliches Wachstum “voraussetzt”. Hier wird ein Kausalzusammenhang suggeriert, der so nicht existiert. Wachstum hat nicht das Sinken der Arbeitslosigkeit zur Folge. Wachstum ist vielmehr selbst (auch) eine Folge, so wie das Sinken der Arbeitslosigkeit ein Folge ist (Dazu auch [Irrwege/Merz] “Nur mehr Arbeit schafft höheres Wachstum”). Ursache von Arbeitslosigkeit und von Rezession ist der moderne Feudalismus.
Wirtschaftswachstum begünstigt heute nicht die Bevölkerung insgesamt, sondern vor allem die Reichsten unter uns. Es fördert den modernen Feudalismus, den es zu verhindern gilt.
Die Diskussion um die Höhe der Einkommensteuer löst das Problem nicht. Dass jemand mit 5 Millionen Euro Kapitaleinkünften jährlich 40%, 50% oder 60% Steuern zahlen muss, wird ihm freilich mehr oder weniger lästig sein. Aber selbst bei 60% Steuer bleiben ihm noch 2 Millionen Euro übrig und damit zehnmal so viel wie unseren höchsten deutschen Richtern (Und das ohne noch dafür arbeiten zu müssen). Diese Diskussion um die Höhe der Einkommensteuer verschleiert das Problem: Denn nicht die Höhe der Einkommen ist an sich schädlich, sondern die Verdrängung des weniger Begüterten durch den besser Begüterten bei der Vermögensansammlung.
4.7.1 Nicht die Begrenzung von Einkommen schafft Abhilfe, sondern nur die Beschränkung von großen Vermögen. Die Beschränkung von Vermögen würde das stetige Auseinanderklaffen zwischen Arm und Reich stoppen und sogar umkehren. Sie würde außerdem erheblich zur Wiederbelebung der Konjunktur beitragen.
Das Grundgesetz selbst und sogar “die alten Römer” weisen uns den richtigen Weg: Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz lautet: “Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.” Das Grundgesetz selbst sieht also die Möglichkeit der Beschränkung durch einfaches Gesetz vor. Solch eine gesetzliche Beschränkung des Privateigentums gibt es zur Zeit nicht. Das war nicht immer so! Das römische lex licinia agraria des Jahres 367 v. u. Z. legte 500 Morgen als Maximum des Besitzes am ager publicus fest und bestimmte, dass aller darüber hinausgehende Grundbesitz aufzuteilen und in Stücken von jeweils mindestens sieben Morgen landlosen Plebejern zu geben sei. Auch hier und heute gilt: Nur die Beschränkung des Vermögens der Wohlhabenden, gibt den weniger Begüterten auf lange Sicht eine realistische Chance, ebenfalls Vermögen anzusparen.
4.7.2 Würde der Gesetzgeber z. B. (gewinnbringendes) inländisches Vermögen von über 50 Mio. Euro Wert so besteuern, dass der Eigentümer es lieber verkauft, als dass er es weiter behält, dann würde sich dieses Vermögen wieder stärker unter der Bevölkerung verteilen. Eine andere Möglichkeit: Der Staat könnte auf Grund Gesetzes auch selbst das überschießende Vermögen am Markt veräußern und den betroffenen Superreichen den Erlös in Geld als Entschädigung geben. Es wäre jedenfalls so, als ob man mit einem Deckel die Spitze eines Sandhaufens herunter drückt, so dass sich der Sand der Spitze an den Seiten des Haufens verteilt.
Setzen wir auf das Ganze einen Deckel und senken wir ihn vorsichtig ab!
4.7.3 Der Erlös in Geld kann den Superreichen ohne weiteres wieder zufließen. Geld (Bargeld oder Giralgeld) bewirkt für sich keinen Feudalismus. Erst wenn dieses Geld des Superreichen im Inland wieder zum Kauf neuer Aktien, Unternehmensanteile oder Mietshäuser verwendet würde, entstünde wieder eine feudalistische Situation. Dann müsste der gesetzliche “Deckel” von neuem ansetzen. Auch wenn dieses Geld nennenswert verzinslich verliehen wird (Darlehen oder Anleihen, auch Zerobonds, über 1% Zinsen bzw. Rendite jährlich), hätten wir feudalistische Verhältnisse. Liegt es dagegen zinslos auf einem Bankkonto oder unter der Matratze, gibt es für unser Gemeinwesen kein Problem. Gleiches gilt, wenn es im Ausland ausgegeben wird und wenn nicht über den Umweg Ausland hier im Inland doch wieder Kapital angelegt wird (etwa über ausländische Unternehmen oder Strohmänner).
4.7.4 Tatsächlich sah der Sandhaufen 1995 (Statistik 1995 rechts) etwa so aus (kein Haufen mehr, sondern eine hohe, dünne Spitze):
Und so muss man sich die Verhältnisse heute als Sandhaufen ungefähr vorstellen (vgl. auch [Fakten/Stundenlöhne] “Die Vermögen und ‘Stundenlöhne’ der reichsten Deutschen” unter 2):
Wie gesagt, es ist wie der Nil in der Wüste: Der Fluss ist breit und stark, aber er versorgt nur wenig Land mit Wasser. Daher ist das meiste Land eine Wüste. Würde das Wasser des Nil sich besser über das Land verteilen, wäre das Land insgesamt fruchtbar. Würde sich hier in Deutschland der Geldfluss unter der Bevölkerung besser verteilen, wäre die Wirtschaft gesund. Wie gezeigt, hängt der Geldfluss in privaten Händen heute vor allem vom Einkommen aus Vermögen ab; das Einkommen aus Arbeit ist viel zu gering. Ohne eine gesetzliche Begrenzung der Ressourcen (gewinnbringenden Inlandsvermögen) wird die Krankheit unserer Wirtschaft nicht heilen.
4.7.5 Sicher, Vermögen dient auch der persönlichen Selbstentfaltung - auch der der Reichen (Art. 2 GG). Sollte deshalb aber deren Vermögen schrankenlos immer größer werden können? Einmal ehrlich: Dient ein Vermögen von meinetwegen 100 Millionen Euro noch ernsthaft mehr der persönlichen Selbstentfaltung des Eigentümers als etwa eines von 50 Millionen Euro? Und muss Vermögensansammlung der Reichen nicht da eine Grenze finden, wo sie die von anderen unmöglich macht?!! Haben die Bundesbürger von Deutschland nicht das Recht zu beschließen, dass Reichtum so zu begrenzen ist, dass auch noch etwas für die anderen bleibt?!? Sollten die Bundesbürger von Deutschland nicht einmal mit der Nase auf dieses Problem gestoßen werden?!? (Keine der Parteien oder Gewerkschaften hat sich, soweit ersichtlich, hierfür bisher interessiert!) Über diese Zusammenhänge ist sich offenbar nicht einmal das Bundesverfassungsgericht im Klaren, wie etwa aus dem allbekannten Beschluss vom 22. Juni 1995 zur Vermögensteuer (2 BvL 37/91, NJW 1995, 2615, 2617) deutlich wird. Dort wird jedenfalls allein die Sicht des (vermögenden) Steuerschuldners betrachtet, nicht aber das hier aufgezeigte Problem (vgl. auch das abweichende Votum dort des Richters Böckenförde).
4.7.6 Insgesamt ist es heute jedoch so, dass wegen der Vermögenskonzentration es dem Gros der deutschen Bevölkerung ein Leben lang unmöglich sein wird, sich aus Miete und abhängiger Arbeit bzw. Arbeitslosigkeit zu befreien. Wenn unsere Wirtschaftsverfassung (d. h. wenn unsere Gesetzeslandschaft) sich nicht entscheidend ändert, wird sich dieser Feudalismus weiter verschärfen - in einem Tempo, wie man es anhand des Diagramms oben leicht erahnen kann.
Der Rechtszustand heute, wo es keine Grenze nach oben gibt, ist ein Pulverfass. In der Geschichte ist das gleiche Problem immer nur durch Revolten, Revolutionen und Kriege “bereinigt” worden. Die kamen nie von heute auf morgen, sondern waren immer Ergebnis lang anhaltender und großer Unzufriedenheit (natürlich der Besitzlosen). Davon sind wir noch ein Stück weit entfernt. Unsere demokratische Verfassung gibt heute allerdings der Mehrheit der Bevölkerung (und nicht der “Mehrheit des Besitzes”) die Macht, das Problem rechtlich rechtzeitig anders zu regeln.
Kapitalvermögen muss sich wieder besser verteilen. “Arbeitsplätze” werden in Zukunft zwar nicht verschwinden, aber immer weniger werden. Die zunehmende Automatisierung macht's möglich (Autos statt Sänften!). In einem Land, das “bei Null anfängt”, wie Deutschland nach dem II. Weltkrieg, kann jeder mit seiner “Arbeit” gut verdienen und kann gut davon leben. Je weiter ein Land aber “aufgebaut” (“automatisiert”) ist, desto weniger wichtig werden die vielen “Arbeitskräfte”. Die werden aber weiter finanziell versorgt, wenn sie am “Kapital” teilhaben, so, wie es für reiche Leute heute selbstverständlich ist. Sie brauchen dann eben auch keine Arbeitslosenhilfe und keine Sozialhilfe!
4.7.7 Man kann mit guten Gründen behaupten: In Ländern, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich nicht so groß ist wie in Deutschland, sind auch staatliche bzw. soziale Abgaben für die Leute kein so großes Problem wie hier, wenn und soweit dort überhaupt Sozialleistungen erbracht werden.
1995 hatte der Staat (und damit der Steuerzahler) für Sozialhilfe 54,4 Mrd. DM ausgegeben (Quelle: Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Ausgabe 1995, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, Tabelle 93). Im selben Jahr verdienten die Steuerpflichtigen mit Einkommen ab 500.000 DM (insgesamt 69.413 Stpfl.) zusammen über 97,2 Mrd. DM. Allein aus den Einkunftssparten Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung verdienten sie fast 65 Mrd. DM (Statistik 1995 oben lfd. Nrn. 15 - 18). Wäre die Kapitalansammlung in Deutschland begrenzt, so dass sich das diesen Einkünften zu Grunde liegende Vermögen auch “unten” (also bei den Sozialhilfeempfängern) ansammeln würde, so bräuchte der Staat und damit der Steuerzahler keine einzige Mark Sozialhilfe leisten. Den betroffenen Reichen bliebe ohne diese Vermögen immer noch ein Einkommen von (97,2 Mrd. - 54,4 Mrd. =) 42,8 Mrd. DM. Im Schnitt sind das für 1995 (42,8 Mrd. DM / 69.413) rund 616.600 DM. Das soll nicht heißen, dass dieses Vermögen an Sozialhilfeempfänger gehen sollte. Hier geht es nur darum, die Größenordnung der Vermögensanhäufung deutlich zu machen. Wie sich aber eine Vermögensbegrenzung bei den Superreichen bei den rund 30. Mio. übrigen Steuerzahlern auswirken wollte, zeigt folgende Rechnung:
Gäbe es eine Vermögensbegrenzung, die Einkommen von höchstens 616.600 DM jährlich zuließen, so würden sich Kapitaleinkünfte von 54,4 Mrd. DM über die übrige Bevölkerung verteilen. Bei rund 30 Mio. Steuerzahlern wären das unmittelbar über 1.813,- DM mehr Einkommen jährlich. Da nunmehr eine erheblich bessere Einkommensverteilung eingetreten wäre (das Geld fließt nicht mehr wie ein Nil durch die Wüste), würden diese 1.813,- DM zusätzlich zu Beginn eines Jahres zu einer erheblichen Konjunktursteigerung führen. Denn dieses Geld würde im Laufe eines Jahres den Besitzer gut 10 bis 50 Mal häufiger wechseln als in der jetzigen Situation. Somit würden bei 30 Mio. Steuerzahlern aus 1.813,- DM zusätzlichem Einkommen aus Kapital am Jahresanfang im Laufe eines Jahres rund 20.000 DM bis 90.000 DM zusätzliches Einkommen infolge besserer Konjunktur.
4.7.8 Gelegentlich wird eingewandt, dass die superreichen Leute wie Johanna Quandt (s. u.) ihr frisch “verdientes” Geld über die Bank verleihen und dass deshalb die Geldumlaufgeschwindigkeit ebenso schnell sei, wie wenn dasselbe Geld von vielen weniger Reichen “verdient” und in Umlauf gebracht werde. Das ist nicht richtig.
Vorweg: Die Darlehensauszahlung und -rückzahlung als solche hat keine Bedeutung für die Geldumlaufgeschwindigkeit. Wichtig an der Geldumlaufgeschwindigkeit ist ihre Bedeutung für den Güterverkehr.
1. Betrachten wir zuerst den Darlehensnehmer näher:
Richtig an dem Argument ist, dass der Darlehensnehmer das geliehene Geld für Güter ausgibt und damit Umsatz (= Geldfluss) und Güterverkehr erhöht. ABER! Der Darlehensnehmer muss/will das Darlehen irgendwann wieder zurückzahlen. In dem Zeitpunkt, wo er zurückzahlt, kann er gerade keine Güter mehr erwerben, obwohl er jetzt Geld erwirtschaftet und nicht nur ausgeliehen hat. Wie es halt das Wesen des Darlehens ist: Es erhöht die Finanzkraft des Darlehensnehmer nicht wirklich, sondern nur scheinbar. Das Umsatzplus der Wirtschaft heute wird quasi von der Zukunft geliehen.
Hier kann man freilich unterscheiden, ob der Darlehensnehmer das Darlehen (für Investitionen) so nutzt, dass er künftig höhere Einnahmen erwirtschaftet, oder ob er es verkonsumiert.
Konsumiert er, so ist das Umsatzplus durch ihn heute betragsmäßig so hoch wie das Umsatzminus durch ihn morgen, wenn er das Darlehen zurückzahlt. Wegen der Zinsen ist das Umsatzminus sogar größer als das anfängliche Umsatzplus. Gerade die massenhaften Konsumkredite heute prägen unsere Wirtschaft (oder unsere Wirtschaftsflaute?!)
Bei Darlehen, die für Investitionen genutzt werden, will der Unternehmer trotz Zinsen höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (höheren eigenen Umsatz) erzielen. Auch er muss das Darlehen wieder zurückzahlen. Das Darlehen wirkt ähnlich einem Katalysator - falls die Rechnung aufgeht. (Bei der Philipp Holzmann AG wirken die Darlehen heute verheerend.)
Beim Blick auf die verschiedenen Darlehensnehmer ist also nicht erkennbar, dass der Geldumlauf - bezogen auf den Güterverkehr - gefördert wird, wenn man die gesamte Darlehenslaufzeit im Auge behält, und nicht nur den Darlehensbeginn.
2. Betrachten wir nun den superreichen Darlehensgeber:
Solange sein Geld verliehen ist, bringt er selbst es freilich nicht ist den Geldumlauf des Güterverkehrs.
Er bekommt das Geld wohl irgendwann zurück. Dann steht er (besser: dann stehen wir) vor dem Problem wie vor der Darlehensgewährung, das Geld in den Wirtschaftskreislauf zu bringen: Er kauft für sich eben nicht 100.000 Brötchen am Tag, bestellt für sich nicht 100.000 mal den Rechtschreibduden, geht nicht 100.000 mal im Monat zum Frisör usw. usf. Er kauft sich vielleicht für 20 Millionen Euro ein Gemälde - natürlich von einem anderen Superreichen. Am liebsten kauft er weitere gute Aktien oder Mietshäuser (falls gute Aktien oder Mietshäuser überhaupt noch zu einem akzeptablen Preis zu bekommen sind - womit wir beim Kernproblem des modernen Feudalismus wären!).
200.000.000 Euro Einkommen am Beginn eines Jahres bei 1 Privatperson sorgen also niemals für 50 x 200 Mio. Euro Bruttosozialprodukt, so, wie es aber 20.000 Euro (zusätzliches!) Einkommen am Beginn eines Jahres bei 10.000 Privatpersonen tun würden. Letzterenfalls werden aus 20.000 Euro zusätzlichem Einkommen bei 10.000 Menschen im Laufe eines Jahres 20.000 Euro zusätzliches Einkommen bei 50 x 10.000 = 500.000 Menschen, mithin 10.000.000.000 Euro Bruttosozialprodukt.
Nach alledem ist klar, dass Vermögens- und damit Geldkonzentrationen bei wenigen Privatpersonen die Geldumlaufgeschwindigkeit reduzieren. Der Geldumlauf selbst konzentriert sich immer mehr um die Superreichen. Vermögens- und damit Geldkonzentrationen schaden folglich der Volkswirtschaft. (Anmerkung 2007: Zu alledem [Fakten/Konjunktur] “Meudaleffekt, Geldmengenwachstum und Konjunktur”)
4.7.9 Um nochmals mit dem Bild vom Nil in der Wüste zu sprechen: Man braucht gar nicht viel Geld, um eine stockende Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen. Denn das Geld verbraucht sich nicht, wenn es im Tausch gegen Güter von einem zum anderen gegeben wird. Das Geld wird immer wieder weiter gegeben. Fließt es aber immer mehr in einem Kanal gleich einem Nil zusammen, dann kann es das Land drumherum nicht mehr bewässern.
4.8.1 Es ist zur Zeit populär, vor Kapitalabwanderung oder vor der Auswanderung der Reichen zu warnen. Aber das ist Unsinn. Mit diesem “Gespenst” wird leichtfertig das Volk erschreckt. Tatsächlich ergibt sich volkswirtschaftlich überhaupt kein Nachteil, wenn jemand gesetzlich gezwungen oder veranlasst wäre, alles (gewinnbringende) Inlandsvermögen zu veräußern, was beispielsweise über 50 Mio. Euro Wert hinaus geht. Er verkauft inländische (vermietete) Grundstücke oder Aktien von inländischen Aktiengesellschaften und erhält dafür Geld. Wenn er Schmuck oder Gold in Deutschland kauft, ist das in Ordnung. Wenn er will, kauft er sich für das Geld etwas im Ausland. Das Kapital (Grundstücke, Aktien) bleibt deswegen dennoch im Inland, und zwar bei Käufern, die bislang noch nicht ihre 50 Mio. voll haben. (Es ist mir nicht egal, was im Ausland geschieht, ganz und gar nicht. Bei meinem Beitrag geht es mir aber um wirtschaftsrechtliche Verbesserungen in Deutschland. Man könnte das Thema auf die gesamte Welt ausweiten. Aber ich möchte als Deutscher nicht über das Ausland bestimmen oder “besser”wissen wollen, was dort am Besten ist. Vielleicht wäre es für andere Länder der Welt auch gar nicht schlecht, wenn unsere Superreichen veranlasst wären, dort zu investieren.)
So viel ist sicher: Wer hier in Deutschland “zu viel” besitzt und gezwungen wäre, sich “ärmer” zu machen, der würde wohl öfter mal seine Verwandten und Freunde “bedenken”. Er würde aber noch mehr ins Ausland verlegen. Wäre das etwa schlecht? Im ersten Moment würde man das bejahen. Wir kennen etwas Ähnliches von den “Zeiten der Quellensteuer” her. Aber ist das wirklich eine Gefahr? Wenn jemand das Zuviel seines Vermögens ins Ausland verlegen wollte, müsste er hier in Deutschland Vermögen verkaufen. Denn das Vermögen, um das es hier geht, ist mit Grund und Boden verbunden. Es kämen also verstärkt inländische Miethäuser, Aktien und dergleichen auf den Markt, eventuell sogar zu geringeren Preisen. Auch bloße Forderungen (z. B. Anleihen) könnte man als inländisch definieren, wenn der Schuldner seinen Sitz in Deutschland hat. Jedenfalls könnten diejenigen nicht mehr zugreifen, bei denen “das Maß voll” ist. Die Verkäufer bekämen Geld (was, wie gesagt, aus der Druckerpresse kommt!) und würden sich im Ausland einkaufen. Das (mit Grund und Boden verbundene) Kapital aber bliebe hier in Deutschland.
4.8.2 Die Befürchtung, dass die Reichen nicht mehr “arbeiten”, wenn man ihr inländisches Vermögen begrenzt, ist unbegründet. Wie man der Statistik entnehmen kann, erzielen die Reichen den wesentlichen Teil ihres Einkommen nicht aus Arbeit, sondern aus ihrem (gewinnbringenden) Vermögen. Die wirklich “wertvolle” Arbeit machen zudem oft irgendwelche Vorstände oder Geschäftsführer, natürlich auch alle anderen Arbeitnehmer, aber nicht unbedingt die Reichen selbst. (Anmerkung 2007: [Fakten/Untertanen] “’Mitarbeiter’ oder die Untertanen im modernen Feudalismus”)
Ob beispielsweise Bill Gates bei 50 Mio. Euro einen “Deckel oben drauf” bekommen hätte oder nicht, wäre der Firma Microsoft Corp. völlig egal. Und ob die Aktien eines Unternehmens sich in wenigen privaten Händen oder in vielen befinden, macht für das Unternehmen keinen wesentlichen Unterschied.
5.1 Man sollte sich frei machen davon, in volkswirtschaftlichen Diskussionen immer das Geld (die Finanzen und die Kosten) so zu betrachten, als sei Geld ein Selbstzweck. Geld (Bargeld und Giralgeld) ist für sich genommen völlig unwichtig. Es kommt aus der Druckerpresse bzw. aus dem Kreditgeschäft vor allem der Zentralbanken und der Kreditinstitute und muss dann zirkulieren - überall, damit es allen (einigermaßen) gut geht. Viele Leute reden auch von Kosten so, als würde Geld verbrennen, sobald es ausgegeben wird. Aber die Ausgaben des Einen sind die Einnahmen des Anderen. Wer das nicht sieht, kann keine volkswirtschaftlich sinnvolle Diskussion führen.
5.2 Volkswirtschaftlich entscheidend sind die Güter (Vermögenswerte, Dienstleistungen usw., die man mit Geld bezahlen kann). Betrachten Sie die Güter: Fragen Sie, wer sie hat und wer davon wie viel und wie schnell dazu erwirbt (Unternehmensvermögen eingeschlossen!).
5.3 Fragen Sie dagegen nicht, ob in Deutschland oder im Ausland produziert wird und wo damit “Arbeitsplätze” geschaffen werden! Fragen Sie vielmehr, wer die Produkte erhält!
1 Ein Thema, an das sich Parteien, Politiker und Medien (noch) nicht heran trauen!
Meudalismus ist eine Wortschöpfung, die den “Modernen Feudalismus” verkörpert. Während der (klassische) Begriff Feudalismus sich von feudum, also dem Lehen oder dem Dienst ableitet und nach heutigem Verständnis seine wirtschaftliche Bedeutung vor allem durch die Feldwirtschaft hatte (Feld - ...eudalismus), weist der Begriff Meudalismus auf dieselben asozialen Verhältnisse und wirtschaftlichen Strukturen hin und darauf, dass sie heute, in der Moderne, auf einer Ökonomie mit Maschinen beruhen (Maschine - ...eudalismus).
2 Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957, Seite 7. Soweit er dann aber sogleich meint, “das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstands ist der Wettbewerb”, hat er sich geirrt. Die Geschichte widerlegt diese These ebenso, wie sie die Prophezeiung von Karl Marx widerlegte.
Leser seit 11.7.2003:
Mittelschicht? Der Farbbalken Es handelt sich Weitere Infos |
Aktuelle Zahlen (Jan 2020): Geldmengen pro Haushalt / Vermögen & “Stundenlohn” Die 60 DM Kopfgeld 1948 Der Bruttostundenlohn aller Geldumlaufgeschwindigkeit: |
|
Aktuelle Themen: Krisenpolitik - eine unendliche Geschichte |
||
50 Jahre nach *Dr. Jürgen Borchert, Vorsitzender Richter am Hessischen Landessozialgericht Weitere Infos
|
||
Sie möchten auf dem Laufenden bleiben? |
||
Zeigen Sie Flagge
Sie erhalten das “Shirt” schon mit vorbereitetem Text u. a. bei |
“Der Feudalismus von heute ist ein Feudalismus mit menschlichem Gesicht.”
Der Aufschwung ist da!
“Die richtigen Fragen”
Die Anstalt vom 05.04.2016 fast nur der Kritik am modernen Feudalismus gewidmet: